Leid = Schmerz x Widerstand? - Über die Besonderheiten von Changemanagement im Hochschulkontext

Gesellschaft, Wirtschaft wie Politik haben berechtigte Forderungen an Hochschulen: und das Stichwort allerorten lautet „Changemanagement“! Die VUCA-Welt steht in ständiger Veränderung und reagiert dynamisch auf Entwicklungen. Das gilt für den Hochschulkontext nicht minder – allein die dortigen Voraussetzungen, Zugänge und Wege sind nach unserer Erfahrung andere. Dazu notwendige Veränderungen können herausfordernd sein, manchmal schmerzhaft und gelegentlich leidvoll. Während Schmerz ein Reiz mit einer objektiv sinnvollen Warnfunktion darstellt, ist Leid ein Gefühl und daher subjektiv.

Erst Schmerz gepaart mit Widerstand erzeugt es, wobei das Leiden individuell recht unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Gerade wenn es im Hochschulkontext darum geht, grundsätzliche Veränderungen voranzutreiben, führen gegensätzliche Interessen oder Unverständnis häufig dazu, dass Entscheidungen verzögert, verschleppt oder höchstens im Minimalkonsens getroffen werden. Je besser sich die Beteiligten über die Ziele der Veränderung informiert fühlten und je mehr sie sich mit eigenen Ideen an den Veränderungen beteiligen können, desto eher bewerteten sie den Wandel insgesamt als positiv und sind bereit, auch an schmerzhaften Veränderungen aktiv mitzuwirken.

 

Veränderungsbereitschaft und Widerstand – zwei Seiten einer Medaille

Nur weil wir etwas „sollten“ oder „müssten“, sind oder tun wir es noch lange nicht. Das kennen wir privat von unseren hehren Neujahrsvorsätzen, das wissen wir auch beruflich aus Jour Fixes und Rundmails, wenn allerlei Aufgaben ohne klare Verantwortlichkeiten oder Deadlines kursieren.

Veränderung setzt zunächst grundsätzliche Veränderungsbereitschaft voraus – vor allem der davon betroffenen Forscher:innen, Lehrenden und Studierenden wie der sonstigen Hochschulmitarbeiter:innen. Falls diese nicht vorliegt, regt sich Widerstand gegen das Neue oder das noch Unklare. Das ist eine instinktive Reaktion auf unangenehme oder schmerzliche Gefühle. Gerade im Hochschulkontext geht es oft um das berühmte „Standing“ innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft oder die mikropolitische Position innerhalb eines vergleichsweise kleinen Institutsteams oder einer Stabsabteilung im Hochschulmanagement. Hier ist weniger eine formelle Stellenzuschreibung oder eine hierarchische Eingruppierung mit klaren Zuständigkeiten und Befugnissen entscheidend, sondern die durch Kompetenz, Erfahrung oder Empathie erarbeitete tatsächliche Stellung. Wird beispielsweise durch ein Veränderungsprojekt der eigene informelle Einflussbereich indirekt beschränkt, steigert das nicht die Veränderungsbereitschaft der betreffenden Hochschulmitarbeiter:innen, deren Erfahrung und Fachexpertise aber gerade für den Veränderungserfolg wesentlich ist.

Eine Stärke des Systems Hochschule ist der Diskurs. Vom Diskurs zur Umsetzung zu kommen, ist für dieses ungleich schwieriger. Warum die Studienrechtsabteilung sich gegen den neuen Joint-Venture-Bachelorstudiengang sträubt, weswegen das Fakultätsmanagement universitätsweit einheitliche Fristen missbilligt oder wieso die Studierenden nur widerwillig die Online-Lehrangebote annehmen – all das kann selten rein objektiv nach dem Zweck der angestrebten Veränderung beurteilt werden. Auch verdeckte oder ad hoc auftretende Widerstände sind ernst zu nehmen, denn Sie zeigen nicht nur an, dass den betreffenden Hochschulmitarbeiter:innen die Sache wichtig ist. Sie bedeuten auch, dass kommunikativ etwas zu tun gibt, um diese nicht nur mit ins Veränderungsboot zu holen, sondern zum kräftigen Mitpaddeln zu bewegen. Am Ende des Tages lässt sich die konkrete Umsetzung des Change-Prozesses nicht final durch rationale wissenschaftliche Methoden begründen, sondern nur durch Überzeugungen.

Gemeinhin nimmt Veränderungsbereitschaft dann zu, wenn die Menschen überzeugt sind, dass eine Veränderung ihnen persönlich nützt, Identität und Selbstwert durch die Veränderung nicht bedroht werden und wenn die eigenen, persönlichen Ziele und Werte mit denjenigen der Veränderung in Gleichklang gebracht werden. Im Changemanagement im Hochschulkontext hören wir häufig, „alles ginge so schleppend“ oder „viele seien so veränderungsresistent“. Man kann das schmerzlich beklagen oder mit herkömmlichen Mitteln aus dem Changemanagement des Business-Sektors zu bekämpfen versuchen – beides verspricht mäßige Erfolge. Wir waren stets erfolgreicher damit, die Hochschulen samt ihrer Angehörigen in der besonderen Rolle als Expertenorganisationen anzuerkennen und dies zum Vorteil zu nutzen.

 

Widerstand an Hochschulen – ein spezieller Klang einer speziellen Organisation

In Hochschulen als lose gekoppelte Systeme, deren Elemente wie z. B. Fakultäten oder Forschungsbereiche vergleichsweise autonom und unabhängig voneinander sind, lässt sich Widerstand gegen Veränderung oft an bestimmten Schlüsselpersonen oder kleineren Einheiten festmachen. Oftmals heißt es dann, „die Abteilung … tut nicht weiter“ oder „der Kollege … ist davon nicht überzeugt“. Ähnlich einem Fahrradschlauch, der Luft verliert, muss man dann aber nicht erst nach der Stelle suchen, sondern kann die neuralgischen Punkte gleich angehen:

Vorab hilft dabei eine Stakeholder-Analyse, die sich fragt, wer welches Interesse an der Veränderung hat und wer welche Macht, diese zu begünstigen oder zu behindern. Dabei ist essentiell, sich in die emotionale Situation des Stakeholders hineinzuversetzen und nicht mit Palmströmscher Logik „nicht sein kann, was nicht sein darf“. Die Fragen in diesem Zusammenhang lautet also: „Was konkret befürchtet der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin oder die Organisationseinheit durch die Veränderung und was kann man anbieten, um diese subjektive Befürchtung zu entkräften?“ Wenn Widerstände gegen Veränderungen ernst genommen werden, dann nimmt man auch die dahinterstehenden Interessen der Beteiligten ernst und überlegt aus deren Sicht, was zum Widerstand führt und was ihn beseitigen könnte. Zeit für technische Schulungen oder für Informationsveranstaltungen ist dabei nicht wichtiger als Zeit dafür, die generelle Stimmung in Hochschulteams festzustellen oder die Bedürfnisse von Mitarbeiter:innen in Einzelgesprächen. Wird diese Arbeitszeit nicht vorher in den Change-Prozess eingeplant, fehlt sie meist am Ende und kann auch nicht ad hoc zur Bewältigung einer Krise kurzfristig hergezaubert werden. Dazu gehört ebenfalls, sich um die wichtigsten Stakeholder fortlaufend zu kümmern: Als Menschen ändern diese ihre Einstellung oder werden von anderen beeinflusst, weswegen gelungenes Stakeholder-Management jeweils situativ angepasste Maßnahmen erfordert.

Eine entscheidende Rolle für den Transport von Botschaften und Wissen spielen Change Agents und Change Ambassadors: Der Vorteil eines Change Agents liegt in der Expert:innen-Rolle, die in einer Expertenorganisation wie einer Hochschule ein besonderes Gewicht hat. Ein Change Ambassador ist ähnlich einem Botschafter bzw. einer Botschafterin im diplomatischen Dienst als Person von anerkanntem Ansehen, die in Meetings oder zu Events Gesicht zeigt und als Ansprechpartner:in für das Veränderungsvorhaben fungiert. Beides dient der Akzeptanz und der Überzeugung der anderen von der angestrebten Veränderung, für beides braucht es keine rechtsförmlichen Ernennungen oder institutionelle Eingriffe, und beide Rollen können Sensoren sein für größere Widerstände. Diese Rollen sollten jedoch frühzeitig bestimmt und ihnen die Erwartungshaltung einer Überzeugungsarbeit kommuniziert werden.  Zuletzt Genanntes ist insbesondere für Führungskräfte oder Projektauftraggeber:innen im Zusammenhang mit dem Change-Prozess zu betonen, welche ihre Rolle ansonsten gerne auf wenige, medienwirksame Auftaktveranstaltungen beschränkt wissen, was bei den Hochschulmitarbeiter:innen wenig supportive wirkt.

Um Stimmungen gegen Veränderungen institutionalisiert wahrzunehmen, kann man ein Sounding-Board einrichten, welches den Change-Prozess begleitet und z. B. moderierte Meetings durchführt und das darin erhaltene Feedback strukturiert ausgewertet. Statt das Gefühl zu vermitteln, die Veränderung geschehe von oben gegen den Willen der Beteiligten, können diese das Sounding-Board für ihre Anliegen nutzen und ihre Meinungen sichtbar machen. Außerhalb von Fachmeetings, wo Positionierungen einer anderen Logik folgen, finden hier auch wage Ängste oder unausgereifte Ideen Platz, ohne direkt eine persönliche Konsequenz im Sinne einer Auswirkung auf die eigene Arbeitsstelle befürchten zu müssen. Wichtig dabei ist, dass ein Sounding-Board keine Entscheidungsbefugnisse hat, sondern wörtlich als „Resonanzboden“ dient, ähnlich einem Klavier, wo dieser die Vibration der Saiten aufnimmt und verstärkt. Damit werden auch manch leisere Töne introvertierter Mitarbeiter:innen zum Klang gebracht, Stimmungsbilder erzeugt (Wie viele sind z. B. dafür oder dagegen?) und informell schwierige Entscheidungen im laufenden Change-Prozess zur Reife gebracht. Um zu verhindern, dass es zum Frühstücksdirektorium verkommt, sollte das Sounding-Board nicht (nur) aus Führungskräften bestehen, die ohnehin im Change-Prozess Entscheidungsträger sind. Möglichst bunt gemischt dürfen Schlüsselkräfte, Testpersonen wie Kund:innen darin vorkommen, ergo im Hochschulbereich etwa Studierende, Forschende und Lehrende, Sekretariatsmitarbeiter:innen und einfache Referent:innen aus der Hauptverwaltung. Verzahnt man es ähnlichem einem soziokratischen Kreis mit anderen Gremien dergestalt, dass einige Mitglieder auch in anderen (Entscheidungs-) Gremien sitzen, stellt man gegenseitige Informationen und Impacts sicher.

 

Wollen Können Fördern – die Fähigkeit zur und die Wertigkeit von Veränderung

Neben der Veränderungsbereitschaft stellt die Veränderungsfähigkeit einen zentralen Erfolgsfaktor im Change-Prozess dar. Gerade bei von außen aufgezwungenen Veränderungen wie z. B. dem Homeoffice während der Corona-Krise nehmen wir zum einen wahr, dass dies trotz Anpassungsschwierigkeiten zum Teil erstaunlich gut funktioniert. Zum anderen sehen wir, dass aus der Notdürftigkeit heraus aber geschlossen wird, es „brauche anscheinend nichts weiter“ und „ginge ja ohnehin einigermaßen gut“. Ob auf wissenschaftliche Online-Konferenzen, Remote-Administration oder digitale Lehre bezogen, können dadurch Vertrauensvorschüsse von Beteiligten veruntreut und der Nachhaltigkeit im Change geschadet werden. Nur, weil etwas (irgendwie) klappt, bedeutet das nicht, dass nichts mehr zu tun ist, sondern dass man sich fragen muss, warum es und wie lange es so funktioniert. Hochschulmitarbeiter:innen wollen nicht nur für ihre Veränderungsbereitschaft wertgeschätzt werden, etwa indem man auf sie partizipativ in den Change-Prozess mit einbezieht. Sie wollen sich auch in ihrer täglichen Arbeit empowert fühlen, um die Anforderungen gut zu bewältigen, was oft (aber nicht nur) eine Ressourcenfrage ist.

Gelegentlich hören wir im Hochschulkontext, dass der Change-Prozess zusätzlich zu den regulären Aufgaben nebenbei noch mit erledigt werden soll und es an Unterstützung mangele. Ressourcenknappheit ist zwar per se kein auf Hochschulen beschränkter Tatbestand – als Expertenorganisation besonderer Art erfährt sie ihn in Kombination mit unklarer Kommunikation aber weit hinderlicher. Was einem als wichtig titulierten Change-Prozess unterzuordnen ist bzw. was nachrangige Wichtigkeit erfährt, gehört ebenso priorisiert wie das Commitment festgelegt, wie viel an Arbeitszeit dafür reserviert sein darf und kann. Wenn die Ressourcen-Umverteilung niemand zuvor berechnet hat oder dies nicht kommuniziert wurde, nimmt es nicht Wunder, dass Hochschulmitarbeiter:innen trotz Veränderungswilligkeit ihr ungeteiltes Engagement statt dem notwendigen Change-Prozess lieber dem Gewohnten widmen – daran wird ihre reguläre Performance gemessen und damit kennen sie sich aus. Lastet die fehlende Ressourcenklarheit auf ihnen, werden selbst rasche, von außen aufgezwungene, Veränderungen womöglich zunächst angenommen, aber nicht gelebt und verinnerlicht. Im Online-Bereich beispielsweise fühlen viele Hochschulmitarbeiter:innen sich regelmäßig zwar technisch unterstützt, mental aber alleine gelassen.

Ständiger Wandel, Flexibilität und Anpassungen werden in Expertenorganisationen wie den Hochschulen komplexer verarbeitet als etwa in streng bürokratisch-hierarchischen öffentlichen Verwaltungen. Häufig erfahren wir, dass Hochschulmitarbeiter:innen nicht klar war, was genau von ihnen im Rahmen eines Change-Prozesses erwartet wurde. Bereits die reguläre Performance z. B. einer wissenschaftlichen Forschungsleistung, einer Lehrveranstaltung oder der Prüfungsadministration einer Studienkohorte hängt stark von der Zusammenarbeit und der Sicht von Dritten ab, ebenso wie die Beurteilung der Qualität – in einem Change-Prozess gesellt sich weitere Unsicherheit hinzu. Während es in einem agilen Startup zur Softwareentwicklung etwa selbstverständlich ist, mit solchen Situationen agil, iterativ, inkrementell und experimentell umzugehen, herrscht dieses Mindset an Hochschulen meist nicht vor. Möchte man eine solche Veränderungskultur aufbauen und fördern, sollten nicht alleine objektive Veränderungserfolge zum Abschluss gelobt, belohnt und gefeiert werden – wie etwa ein schnelleres Noteneingabe-System, eine transparentere Vergabe von Semesterlehraufträgen oder einen Exzellenzpreis für gutes Qualitätsmanagement. Auch die Veränderungsbereitschaft, das innovative Ausprobieren, den Mut zum Fehlermachen und die Courage zur Entwicklung unausgegorener Ideen gehören gewürdigt. Dann tragen die Beteiligten die Veränderung eigenverantwortlich mit und verstehen, wie sie sich aktiv einbringen können.

René Merten, Trainer und Coach - Sie haben Fragen, Ideen oder Feedback? Lassen Sie uns in Kontakt treten - Ich freue mich!