In der Hochschulwelt wird Führung manchmal noch eher “traditionell” und hierarchisch gelebt. Gegen Traditionen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn sie jedoch mit der gesellschaftlichen Entwicklung und den Bedürfnissen der Geführten kollidieren, kann dies zu einer destruktiven Stimmung mit schwerwiegenden Folgen führen. Die latente Unzufriedenheit der Hochschulmitarbeitenden führt dann dazu, dass ihr Potenzial nicht entwickelt und auch nicht voll ausgeschöpft wird. Es wird durch zahlreiche psychologische Studien darauf hingewiesen, dass die Arbeitszufriedenheit stark mit der beruflichen Performance korreliert.
In diesem Artikel möchte ich gern meine Erkenntnisse zu einer transformativen, wertschätzenden Führung mit Ihnen teilen. Eine Führungsweise, die es sich zum obersten Gebot gemacht hat, Menschen zu fördern und zu entwickeln. Um Ihnen einen etwas anderen Zugang vorzuschlagen, werden Sie über einige Parallelen aus der Musik stolpern. Kommen Sie einfach auf eine Entdeckungsreise mit mir mit und lassen Sie sich überraschen.
Bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen noch ein paar kurze Worte zu mir schreiben, die vielleicht erklären werden, wie ich dazu komme, über Resonanz und Intention in der Leadership zu schreiben.
Mein Name ist Lilia Tripodi. Ich bin Psychologin, zertifizierte Coach und Trainerin und arbeite seit mehreren Jahren sehr intensiv an der Entwicklung von Menschen und Teams im Hochschulkontext sowie in der Wirtschaft. Was viele nicht ahnen können, ist, dass mein Steckenpferd allerdings die Musik und noch genauer der Gesang ist.
Mit zwei Opernsängern als Eltern, einem Gesangsstudium bis hin zum Konzertexamen und fast 15 Jahren als Solistin auf den Bühnen Europas, kann ich wirklich sagen, dass Musik Teil meiner DNA ist.
Ich habe bereits vor meiner Geburt die schönsten Opernarien lauschen dürfen - gesungen von meiner Mutter. Übrigens auch eine Tatsache, die ich später meinen eigenen Kindern ebenso zugemutet habe 🙂. Ich war immer mit dabei, die verschiedenen Katakomben der Theaterhäuser waren meine Spielwiese, die gefeierten Sänger dieser Welt, meine Freunde und der spezielle Geruch der Bühne, mein Zuhause.
Nachdem ich bereits hunderte von Führungskräften bei der Entwicklung ihrer Führungskompetenzen unterstützt und begleitet habe, möchte ich heute mein Augenmerk auf die Parallelen legen, die mir in den letzten Jahren zwischen diesen zwei Disziplinen aufgefallen sind. Es scheinen zwei vollkommen unterschiedliche Welten zu sein, aber sie sind sich näher, als wir glauben.
In diesem Artikel möchte ich die transformative Kraft von Passion, Intention und Resonanz in der Führung beleuchten und aufzeigen, wie uns die Musik inspirieren kann, unsere Führung mit neuen Augen zu sehen.
Vielleicht werden Sie sich fragen, was Sie davon haben sollten, erst recht, wenn Sie keine ausgeprägte Affinität zur Musik haben. Keine Sorge, ich werde nicht versuchen, Sie dazu zu bewegen, aktiv Musik zu machen, um eine noch bessere Führungskraft zu werden. Die Beispiele aus der Musik werden jedoch zentrale Aspekte klarer und greifbarer machen, worauf es bei der Führung von Menschen ankommt.
Wir werden uns in diesem ersten Teil zunächst auf 4 Elemente fokussieren, die ich als fundamental für Leadership erachte:
Resonanz
Balance
"Peripheres” Zuhören
Intention
Resonanz – Antwort und Verstärkung meiner Botschaft
Resonanz entsteht, indem eine Schwingungswelle auf einen Körper trifft und diesen ebenfalls in Schwingungen versetzt. Dieser zweite Körper dient damit als Leiter oder abhängig vom Material gar als Verstärker des Klangs. Im klassischen Gesang ist man auf Resonanz angewiesen, da keinerlei Mikrofone eingesetzt werden. Sie müssen sich also vorstellen, wie ihre kleinen, feinen Stimmbänder den Klang eines 60 Personen Orchesters überwinden sollen. Können Sie es sich vorstellen? Schließlich möchte der Zuschauer Nummer 1852, der ganz oben im zweiten Rang sitzt, auch gern die Vorstellung hören.
Ich versichere Ihnen, Kraft hilft Ihnen hier nicht weiter. Das einzige Hilfsmittel, wenn richtig eingesetzt, ist die Resonanz, die ein Sänger in seinem eigenen Körper erzeugt. Warum ist eine Stradivari Geige mehrere Millionen wert? Haben Sie sich das schon mal gefragt? Ist ja eigentlich nur etwas Holz und ein paar Saiten – kein Brillantbesatz. Sie ist so kostbar, da sie einen unvergleichlich warmen und gleichzeitig strahlenden Klang besitzt. Sie wird aus dem besonderen Holz der Haselfichte aus dem Wald von Paneveggio hergestellt. Die perfekten Proportionen, Rundungen und Verarbeitung sind es, die ihr die Oberton-Vielfalt und die Klangfarbe verleihen. Schließlich auch das kunstvolle gekonnte Musizieren eines fantastischen Violinisten, der ihr die Seele entlockt. Sie sehen, wie viele Faktoren zusammenspielen müssen, um etwas Einzigartiges zu erschaffen. Selbiges versucht ein Sänger aus seinem eigenen Körper zu kreieren – das perfekte Instrument. Gleichzeitig orientiert sich auch ein Sänger an dem Klang, der von der Akustik des Saals zurückgespiegelt wird. Nur wenn ich meinen Ton zurückkommen höre, weiß ich, dass er in Resonanz war und Strahlkraft hatte.
So wie der Klang resoniert, tun es unsere Emotionen auch. Interessanterweise spiegelt sich das auch in unserer Sprache wider. Wir sprechen vom “richtigen Ton”, von “auf einer Wellenlänge sein” oder von der “Stimmung” oder “Resonanz” auf unserem Vorschlag. Wir senden etwas aus, das andere mit der gleichen Frequenz zum Schwingen bringt, oder auch nicht. Der Zündstoff meiner Botschaft ist Passion - meine Leidenschaft, meine Emotionen. Ohne diesen Funken habe ich keine Chance, meine Botschaft auf den Weg zu schicken. Sie ist die Ladung, die über Überzeugungskraft und Intensität entscheidet.
Als Führungskräfte versuchen wir mit unserer Kommunikation genau das - unsere Mitarbeitenden zu erreichen und in die gleiche Schwingung zu versetzen.
Im akademischen Kontext beobachte ich noch oft, dass das Wort “Emotionen” ein Tabu-Wort ist. Das hätte dort nichts verloren. Alles sei rational, kalkuliert und vernünftig. Emotionen seien etwas für das Privatleben (wenn es unbedingt sein muss) und im Berufsleben eher ein Störfaktor. Emotionen seien „unseriös“ und „unprofessionell”. Wenn wir uns aber das Wort etymologisch genauer anschauen, kommt es aus dem Lateinischen und bedeutet „herausbewegen, erschüttern”(emovere; ex=aus motio=Bewegung). Wenn ich also mit Emotionen arbeite, kann ich etwas bewegen. Wie kann ich jemals als Führungskraft darauf verzichten? Wie kann ich je andere Menschen dazu bringen,mir zu folgen, wenn ich auf das wichtigste Element verzichte? Es ist die primäre Energie, die meine Botschaft weiterbringt. Wie kann ich ohne Brennstoff Feuer entfachen?
Wie können wir dies nun erreichen?
Durch 2 Faktoren: Verbindung und Offenheit.
Verbindung aufbauen – meine Sendefrequenz
Verbindung schaffen wir nur auf emotionaler Ebene durch eine tiefe Wertschätzung und Demut. Wenn ich mein Publikum als Geschenk sehe, es emotional berühren will und mich im Dienste eines höheren Ziels stelle, entsteht Connection. Das bedeutet allerdings auch, die eigenen Schutzmechanismen des Egos aufzugeben und verwundbar zu werden. Es bedeutet tatsächlich, auf Augenhöhe zu kommunizieren und Machtgefälle zu ignorieren. Dann entsteht Resonanz. Menschen wollen mir folgen, auch wenn sie es nicht müssen. Resonanz kann nicht entstehen, wenn ich Wände baue, wenn ich mich auf eine höhere Ebene stelle, wenn ich nicht authentisch bin oder wenn ich andere abwerte. Ich würde den freien Fluss der Schwingung unterbrechen. Dann ist es so, als würde ich versuchen, mit einem vor dem Mund gehaltenen dicken Handtuch zu singen. Keiner würde mich hören, geschweige denn verstehen.
Was dies für die Führung bedeuten würde, können Sie sich ausmalen - Ihre Kommunikation wäre schlicht ineffektiv. Vielleicht ist es Ihnen bereits so gegangen, dass Sie das Gefühl hatten, ganz klar in Ihren Anweisungen gewesen zu sein, aber niemand hat sich wirklich daran gehalten und Ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt. Die Kommunikation mit den Mitarbeitenden war vielleicht erfüllt von Missverständnissen, mangelnde Verantwortlichkeit, Intrigen und gegenseitige Schuldzuweisungen.
Vielleicht haben Sie auch schon mal versucht, Veränderungen an der Hochschule durchzuführen, Prozesse zu verbessern oder Neues einzuführen (was in erster Linie dafür spricht, dass Sie sehr mutig sind!). Wenn Sie viel Widerstand geerntet haben, dann gehört dies zum Normalfall. Wie kann Ihnen das Element Verbindung helfen, zukünftig positivere Erfahrungen zu machen? Gehen Sie auf Augenhöhe, indem Sie um Meinungen oder Rat fragen. Stellen Sie sich nicht als perfekt und allwissend hin, sondern erzählen Sie auch mal von Fehlern, aus denen Sie auf Ihrem Weg lernen durften. Denken Sie an Qualitäten, die Sie an Ihren Mitarbeiter:innen schätzen, bevor Sie ins Gespräch gehen. Stellen Sie sich immer die Frage, wofür Sie diesem/r Mitarbeiter:in dankbar sind. Überlegen Sie sich Wege, wie Sie immer wieder neue Wege finden können, um mit kleinen Gesten Ihre Wertschätzung auszudrücken. So schaffen Sie Verbindung – durch Aufrichtigkeit, Nahbarkeit und Wertschätzung. Dann werden Menschen Ihnen folgen wollen – weil Sie es sind, und nicht weil Sie weisungsbefugt sind.
Offenheit ausstrahlen – meine Empfangsfrequenz
Das zweite Element, Offenheit, kann ich hiervon ableiten und als aufrichtiges Interesse deklinieren. Ich muss gespannt und neugierig auf den Ton warten, der mir widergespiegelt wird. Das Besondere ist, dass er immer bereichert durch die Akustik des Saals und der Menschen zurückkommt. Selbiges passiert mit den Emotionen, die ich aussende - sie kommen bereichert und vervielfacht zurück. Dann entstehen diese besonderen Momente, in denen die Luft elektrisiert scheint, jeder den Atem anhält und die Zeit stillsteht. Sie wissen, was ich meine. Man spricht von Raum-erfüllender Präsenz.
Jetzt stellen Sie sich vor, was diese Fähigkeit für eine Auswirkung auf die Mitarbeiterinnenführung hätte. Inspiration, Motivation und Bewunderung wären eine nur logische Konsequenz. Darüber hinaus könnte es Ihnen passieren, dass plötzlich mehr Mitarbeitende aus Eigeninitiative zu Ihnen kommen, um Ihnen etwas zu erzählen. Sie hätten dadurch ein deutlich detaillierteres Bild, was wirklich in Ihrer Abteilung vorgeht. Ihre Mitarbeitenden würden sich gehört und verstanden fühlen, was automatisch für mehr Vertrauen und auch für mehr Motivation sorgen würde. Kurzum, Ihre Rolle als Führungskraft würde Sie mit viel mehr Freude erfüllen, weil Sie zum Wohlergehen anderer aktiv beitragen würden. Wie klingt das für Sie?
Falls Sie sich nun fragen, wie Sie sich öffnen können, versuchen Sie es zunächst damit: Haben Sie mal versucht, in den Bergen laut zu rufen, um Ihr Echo zu hören? Können Sie sich in dieser Sekunde der gespannten, freudigen Erwartung zurückversetzen? Oder falls Sie mal als Kind an der Tür gelauscht haben, als Ihre Eltern über Ihr Geburtstagsgeschenk gesprochen haben. Können Sie sich daran erinnern? Genau dieses Gefühl von Interesse, gespannt sein und kindlicher Neugier müssen Sie aus Ihrem Gedächtnis abrufen und versuchen, intensiv nachzuempfinden.
Sehr wahrscheinlich werden Sie dadurch ganz automatisch vieles richtig machen: aufmerksam zuhören, ermunternd schauen, die richtigen Fragen stellen und aufrichtiges Interesse zeigen. Ihre Gesprächspartner:innen werden den Unterschied merken. Glauben Sie mir nicht, probieren Sie es aus.
Diese offene Erwartungshaltung wird auch Ihren Mitarbeitenden helfen, sich zu öffnen, sie können gar nicht anders, als mit Ihnen in Resonanz zu gehen. Wie J.W. von Goethe so schön sagte:
Balance in der Führung – die Kunst gegensätzliche Kräfte in Einklang zu bringen
Beim Gesang, aber auch bei vielen Blasinstrumenten, herrscht eine Koexistenz gegensätzlicher Kräfte:
Man atmet aus und stellt sich vor, einzuatmen,
man singt leise und denkt dabei an die Intensität eines satten Klangs,
man singt hohe Töne und stellt sich vor, sie nach unten zu werfen,
man sendet den Klang nach vorne und stellt sich vor, ihn vollständig im eigenen Körper vibrieren zu spüren, ihn quasi zu “trinken”.
Kurzum, wir brauchen das Gefühl von perfekter Balance - absolute Kontrolle und völliges Loslassen.
Ich kann mich noch genau an die verwirrten Blicke einiger Freund:innen Besucher*innen meiner Gesangsschüler*innen, die zu Besuch in meine Stunden kamen, erinnern. Meine Schüler*innen waren an diese gegensätzlichen Bilder gewohnt, hatten sich von einem zum anderen Extrem und dann zur Mitte gearbeitet und verstanden, dass sie nur so die ersehnte Mühelosigkeit beim Singen erreichen konnten. Andere, die damit zum ersten Mal in Berührung kamen, verstanden diese Koexistenz der Gegensätze überhaupt nicht.
Übertragen auf die Führungskompetenz bringt das Jonglieren der vermeintlichen Gegensätze und die dadurch gewonnene Flexibilität essentielle Vorteile in mindestens zwei Bereichen:
Eine herausragende Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse meiner Mitarbeitenden und an die Situation, anders ausgedrückt, den situativen Führungsstil.
Eine felsenfeste Entscheidungskompetenz in kritischen Situationen, gepaart mit Flexibilität und Offenheit zu alternativen Ideen der Mitarbeitenden.
Der “Situative Führungsstil” besagt, dass es nicht nur eine “richtige” Verhaltensweise für alle Situationen gibt. Das gleiche Verhalten kann für eine Mitarbeiterkraft sehr hilfreich sein und die andere behindern und demotivieren.
Die Fähigkeit, je nach Person, Task und Situation abzuwägen und flexibel zu wechseln, stellt erst die geforderte Balance her.
Das andere Gleichgewicht, das die Führungsposition abverlangt, ist die gleichzeitige Demonstration felsenfester Entscheidungs-Skills und interessierter Offenheit. Die Mitarbeitenden brauchen das Gefühl von Sicherheit, das ihnen durch eine selbstbewusste Entscheidung vermittelt wird. Schwankungen, Unentschlossenheit, Inkonsistenz oder auch viel zu lange Entscheidungsfristen vermitteln ein Gefühl von Unsicherheit und mangelnde Kontrolle über die Situation.
Andererseits darf sich die Führungskraft nicht versteifen und rücksichtslos nur die eigenen Entscheidungen durchsetzen. Dadurch würde sie Gefahr laufen, wertvolle Ideen nicht zu würdigen und das Team zu demotivieren.
Wenn Sie Ihre Mitarbeitenden nach ihren Meinungen und Ideen fragen, bringen Sie sie automatisch an Bord und schaffen gleichzeitig ein starkes Team, das Eigenverantwortung übernimmt und an jeder Aufgabe wachsen kann. Vergessen Sie dabei nicht, die eingebrachten Vorschläge nach Möglichkeit auch umzusetzen. Im Gegenfall schaffen Sie nämlich den Eindruck, dass Sie nur pro forma fragen und erzielen dadurch das gegenteilige Resultat.
Wichtig zu beachten auf der Suche nach der perfekten Balance ist, dass es eine passende Zeit für alles gibt und Ihre jeweilige Entscheidung immer begründet kommuniziert werden muss. Es könnte sonst der Eindruck von Führungswillkür entstehen, was jegliches Vertrauen zerstören und für eine starke Unsicherheit beim Team sorgen würde. Sie sollten daher Ihre Entscheidungen sorgsam treffen und die jeweiligen Extreme auf Dauer vermeiden.
Deutlich mehr Information und Hintergrundwissen durch “Peripheres” Zuhören
So wie das periphere Sehen funktioniert und uns ein vergrößertes Sichtfeld ermöglicht, ist es in der Musik erforderlich, peripher zu hören – sozusagen das „Hörfeld” zu erweitern. In der Musik hat dies eine essentielle Funktion, ohne die wir in Dissonanz wären bzw. „schief” singen würden. Es erlaubt uns, uns mit unserem Instrument oder Stimme in die Harmonie einzufügen, Tonalität und Rhythmus exakt zu folgen und alle Nuancen der Dynamik zu interpretieren und zu genießen. Außerdem ermöglicht uns diese Fähigkeit, uns als Teil eines großen Ganzen zu fühlen und unseren Platz zu finden. Sie können es sich so vorstellen, als würde man auf die Hauptmelodie hören, die von Instrument zu Instrument im Orchester wechselt, aber gleichzeitig Nebenstimmen wahrnehmen, die die Melodie unterstützen, verstärken, dagegen ankämpfen oder sie auch behindern. Das Spiel zwischen Dissonanz und harmonischer Auflösung ist ein Teil fast jeder musikalischen Einheit. Die Melodie allein wäre ohne die anderen Stimmen leer. Oder haben Sie schon mal versucht, einem Klassenkonzert einer Violinklasse zuzuhören, das ohne Klavierbegleitung stattfindet? Selbst bei begnadeten Musiker*innen würden Sie spätestens bei der dritten Darbietung etwas vermissen (um es sehr diplomatisch auszudrücken).
Übertragen auf die Führungskompetenz verfeinert das “periphere Zuhören” die Fähigkeit, intensiv zuzuhören und „Stimmungen” aufzugreifen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Natürlich müssen Führungskräfte die wichtigsten Informationen herauskristallisieren und schnell Prioritäten setzen. Das ist die Melodie, die im Vordergrund steht und sich ins Gedächtnis einbrennt. Zwischen den Zeilen stehen jedoch oft die wichtigsten Informationen. Wenn wir sie außer Acht lassen, verpassen wir die unterschwelligen Dynamiken, Dissonanzen, Harmonien und Stimmungen. Nur wenn wir uns die Zeit nehmen und mit Interesse zuhören, können sich die Mitarbeitenden respektiert und wertgeschätzt fühlen. Dies wiederum ist der erste Garant der Motivation.
Leider messen wir dem Zuhören, trotz vielfältiger Trainings, nicht die Bedeutung zu, die ihm zusteht. Der Dialog in unserem Kopf, der uns auf unsere Antwort vorbereitet, ist meistens wesentlich lauter, als die Stimme unserer Gesprächspartner*innen. Wir sind auf „Senden” programmiert, nicht auf „Empfangen”. Nur leider verpassen wir dadurch so vieles und wundern uns hinterher, dass wir in Dissonanz und Konflikte leben.
Im Vergleich zum aktiven Zuhören, schenkt uns das „periphere Zuhören” noch eine Dimension mehr. Ich höre nicht nur dem Inhalt zu und zeige, dass ich ihn verstehe, sondern versuche zu hören, welche Emotionen und Stimmungen dahinter sind und begleitend mitschwingen. Dann erst ist mein peripheres „Hörbild” vollständig und ich kann auf Basis dessen Entscheidungen treffen.
Denken Sie an Ihre eigene Erfahrung. Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich verstanden gefühlt? Wie war dieses Gefühl, mit aufrichtigem Interesse wahrgenommen zu werden? Welche Auswirkungen hatte das auf die Beziehung zur Person, die zugehört hatte? Menschen sind Beziehungswesen – und genau das ist unsere Nahrung.
Darüber hinaus schaffen wir dadurch eine Kultur der psychologischen Sicherheit, in der jeder auch kontroverse Sichtweisen frei ausdrücken kann und somit das Team bereichert. Diese Diversität generiert eine größere Quantität und Qualität an Ideen und minimiert Risiken, da unterschiedliche Facetten in Betracht gezogen werden.
Wie entwickle ich das „periphere Zuhören“?
Durch Trockenübungen und Interaktionen.
Ich möchte eine Trockenübung mit Ihnen teilen, die ich für sehr hilfreich halte, da sie unseren Gehörsinn schärft und wir dadurch wesentlich mehr Farben und Nuancen im Gespräch wahrnehmen können.
Die Übung ist aus dem Achtsamkeitstraining ausgeliehen und geht folgendermaßen:
Gehen Sie bei nächster Gelegenheit in einen Park und setzen Sie sich auf eine Bank. Schließen Sie Ihre Augen, um die Sehreize auszuschalten. Jetzt hören Sie ganz genau alle Geräusche um Sie herum. Versuchen Sie nach und nach, die Vielfalt der Geräusche zu identifizieren.
Menschen, die sich in der Ferne unterhalten,
Kinder, die spielen,
unzählige Vögel, die unterschiedlich zwitschern,
das Rauschen des Windes in den Bäumen,
das Hüpfen einer Amsel in den trockenen Blättern,
entfernte Autogeräusche
und noch vieles mehr.
Machen Sie beim nächsten Mal die Übung woanders – im Wald, im Supermarkt, im Café, in Ihrem Büro.
Sie werden sich wundern, wie viel mehr Sie nach wenigen Durchgängen dieser Übung wahrnehmen werden.
Nach einer gewissen Zeit kommen Sie zum zweiten Schritt und versuchen in Gesprächen, die verschiedenen Nuancen herauszuhören. Sie können sämtliche Interaktionen als Übung nutzen. Wie klingt der Ton Ihrer Mitarbeitenden, Ihrer Kolleg*innen? Was hören Sie noch, außer der bloßen verbalen Information? Üben Sie sich in der Beschreibung. Je facettenreicher, desto besser.
Wenn Sie sich darin sicherer fühlen, können Sie den dritten Schritt versuchen: verbalisieren und nachfragen, ob Sie mit Ihrer Wahrnehmung richtig liegen. Ihre Gesprächspartner werden Sie als feinfühlig wahrnehmen und Sie hätten so viel mehr Wissen und Verständnis für alles, was um Sie herum geschieht. Wie würden Sie das finden?
Die Führungskompetenz durch klare Intention potenzieren
Mit Intention ist eine klare Absicht gemeint. Bevor ein Musiker auch nur einen Ton spielt, muss er in seinem Inneren genau wissen, was dieser Ton ausdrücken soll. Er muss ihn vorher nicht nur beschreiben, sondern ihn in der eigenen Vorstellung auch “voraushören” können. Als Sängerin muss ich wissen, ob ich den Klang zart, wütend, schrill, hart, verzweifelt oder verliebt haben will. Ich muss wissen, welche Emotionen ich als Zielvorstellung hervorrufen und haben möchte. Wenn ich diese Vorarbeit nicht leiste, kommt der Ton “irgendwie”. Ich bin auf den Zufall angewiesen.
Auf die Führungskompetenz übertragen, ist es die Fähigkeit, klare Visionen zu vermitteln und die Mitarbeitenden bis ins kleinste Detail an der Reise teilhaben zu lassen. Die Vision wird bestenfalls im Team dekliniert, sodass sich jede*r einzelne damit identifizieren kann. Als Führungskraft habe ich die Verantwortung, sie vorzuleben und jede Handlung mit dieser “Ladung” der Intention zu versehen. Diese Ladung ist übrigens immer emotional (ich weiß, da kommt das geliebte Wort schon wieder!). Die Begriffe Vision, Strategie, Planung oder Zielvorstellung, die nicht emotional aufgeladen sind, haben leider keine Zugkraft. Sie kommen nicht an. Sie sind leer. So leer wie diese Verpackung, die meine Kinder im Kühlschrank lassen, um das Gefühl zu vermitteln, als wäre da noch Eis, aber man beim näheren Untersuchen leider feststellen muss, dass es nur die verheißungsvolle Verpackung ist. Sonst nichts. Wenn Sie aber den Inhalt, sprich die Emotion auch liefern, erreichen Sie eine ganz organische Ausrichtung vom ganzen Team. Ohne Intention müssten Sie viel mehr Arbeit und Mühe investieren, ohne die gleichen Resultate zu erreichen.
Wenn ich es nochmal mit einem Beispiel aus der Musik verdeutlichen kann: Stellen Sie sich einen Musiker vor, der absolut fehlerfrei spielt. Es ist eigentlich alles perfekt. Das einzige Problem ist, dass sie sich langweilen und nichts empfinden. Es kommen keine Bilder auf, ihre Gedanken sind nicht bei der Sache. Bei anderen Darbietungen hingegen bekommen Sie Gänsehaut und sind tief berührt. Sie überhören sogar gern mögliche Fehler und Patzer. Woran liegt es? An der Intention des Musikers. Menschen können wahrnehmen, inwieweit Sie jeden einzelnen Schritt mit Absicht füllen. Lassen Sie nicht zu, dass Ihr Verhalten leer erscheint.
Werden Sie sich darüber bewusst, worin Ihr Ziel besteht und wie Sie wahrgenommen werden müssen, um damit völlig kongruent zu sein. Nehmen Sie sich als Führungskraft die nötige Zeit für Strategie, Planung und ein Zoom-out, um das ganze Bild aus der Ferne zu betrachten. Nur so können Sie Ihre Vision schärfen. Wenn diese Vision in Ihren Gedanken einen festen Platz gefunden hat, können Sie bei jeder Entscheidung, jedem Schritt, jeder Aussage immer wieder abgleichen, ob sie damit konform sind und sich gegebenenfalls anpassen. Versehen Sie nun diese klare Ausrichtung mit den richtigen Emotionen. Sie rufen als Führungskraft immer Emotionen bei Ihren Mitarbeitenden hervor, ob Sie wollen oder nicht. Daher wäre es hilfreich, sich folgende Fragen zu stellen: Wie soll sich mein/e Mitarbeiter:in nach dem 1:1 mit mir fühlen? Mit welchem Gefühl soll mein Team unser wöchentliches Meeting verlassen? Wie ist die emotionale Ladung meiner Intention?
Nehmen Sie sich vor dem nächsten Meeting 10 Minuten Zeit, um bewusst Ihre emotional geladene Absicht zu setzen. Daraus leiten Sie Verhaltensweisen ab, die dieses Ziel erreichen. Ihr Gegenüber wird diese Intention auf einer Ebene ganz klar wahrnehmen können und sich gern danach ausrichten.
Sind Sie nun doch inspiriert, Musik zu machen? Wenn ja, freut es mich natürlich. Ich hoffe aber noch viel mehr, dass Sie in Ihrem Führungsalltag kurz innehalten können, um sich bewusst zu werden, wie es um diese vier Aspekte steht.
Lassen Sie mich in den Kommentaren wissen, was Ihre Erfahrung damit ist. Ich kann es kaum erwarten, davon zu lesen. Falls Sie diese Fähigkeiten für relevant erachten und sie gern entwickeln würden, stehe ich Ihnen gern mit meiner Erfahrung und mit meiner Passion ;) zur Seite. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.
Über Lilia Tripodi:
Als Tochter zweier Opernsänger entdeckte Lilia Tripodi früh ihre Liebe zur Bühne und den Ausdruck menschlicher Emotionen durch Musik. Durch ihre Ausbildung an der Musikhochschule Köln und 20 Jahre Bühnenerfahrung entwickelte sie nicht nur ihre gesanglichen Fähigkeiten, sondern auch wichtige Fähigkeiten wie Empathie und emotionale Intelligenz. Die Verbindung zwischen ihrer Leidenschaft für Musik und ihrem Interesse an Psychologie führte sie zu einer Coaching-Ausbildung und einem Psychologiestudium, wo sie ihr Bedürfnis, Menschen zu berühren und zu bewegen, vertiefte. Heute nutzt sie bei Lukas Bischof Hochschulberatung ihre Expertise, um Workshops und Coachings anzubieten, die auf bewährten psychologischen Konzepten basieren. Neben ihrer Tätigkeit bei Lukas Bischof engagiert sie sich auch in der freien Wirtschaft, leitet Leadership-Programme und begleitet Organisationsentwicklungen für internationale Konzerne. Mit ihrem breiten Erfahrungsschatz freut sie sich darauf, maßgeschneiderte Lösungen für individuelle Bedürfnisse zu entwickeln und mit Ihnen in Kontakt zu treten.