Erfolgreiche Führung ist entscheidend für exzellente Wissenschaft

In den letzten Jahren hat in der Wissenschaft die Nachfrage nach Professionalisierung im Bereich Führung deutlich zugenommen. Dennoch steht die Entwicklung noch am Anfang. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Im Wissenschaftssystem dominiert die Fachlichkeit. Führung wird oft als weniger relevant angesehen. Wer auf der Karriereleiter aufsteigt und z.B. als Principle Investigator oder Professor:in Mitarbeitende zu führen hat, gelangt in aller Regel ohne systematische Vorbereitung in diese Situation. Vorhandene Führungskompetenz wird dabei stillschweigend vorausgesetzt.

DIE GRÜNDE DAFÜR LIEGEN IN UNTERSCHIEDLICHEN ANNAHMEN:

  • Gute Fachexpertise geht mit entsprechender Führungskompetenz einher – exzellenten Fachexpert:innen wird automatisch die Fähigkeit zum Führen zugeschrieben. Als Folge dieser Annahme wird die Notwendigkeit zur systematischen Aneignung von Führungsqualitäten nicht gesehen.

  • Führen wird von vielen wissenschaftlichen Führungskräften als nicht relevant angesehen - es fehlt das Bewusstsein für die Anforderungen und Aufgaben, die mit Führung verbunden sind. Typische Führungsaufgaben werden teilweise an qualifizierte institutionelle Stellen weiter delegiert . 

  • Für Forscherinnen und Forscher stehen die wissenschaftliche Karriere und die Fachlichkeit im Vordergrund. Führung wird als notwendiges Übel in Kauf genommen, um etwas anderes zu erreichen.

Zusätzlich fehlt bislang die wissenschaftliche Evidenz, dass eine gute Führungsarbeit zu besseren Forschungsergebnissen führt. Die Überzeugung, dass Führung im Wissenschaftsbereich von Bedeutung ist, ist demnach nur teilweise ausgeprägt. Sie wird vielfach eher als add-on betrachtet.

Entsprechend gibt es - abgesehen von Ausnahmen in den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in einigen Exzellenzuniversitäten - nach wie vor in der Breite der Hochschulen nur wenige nennenswerte Initiativen zur strukturierten Entwicklung von Führungskräften. Es bleibt den Führungskräften in der Wissenschaft selbst überlassen, ob sie sich weiterbilden. Eine systematische Führungsausbildung findet meist nur in Einzelfällen statt. 

TATSÄCHLICH SIND WIR IN WISSENSCHAFTSSYSTEMEN MIT FOLGENDEN TATSACHEN KONFRONTIERT:

Die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft befindet sich im Wandel. Wissenschaftsorganisationen entwickeln sich zunehmend zu eigenständigen unabhängigen Institutionen, die aktiv gemanagt werden müssen.

Das Renommee von Universitäten hängt an Forschungsbereichen und Exzellenzinitiativen.

Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt erfordert ein attraktives Arbeitsumfeld mit ansprechender Führungskultur. Nachwuchswissenschaftler:innen verlangen nach Professionalität in der Führungsarbeit. Eine moderne Führung auf Augenhöhe in Kombination mit persönlicher Betreuung sind gefragt. 

Die immer komplexer werdenden wissenschaftlichen Fragestellungen erfordern vermehrt die Zusammenarbeit in Teams und Kooperationen, was mit entsprechenden Anforderungen in der Führungsarbeit einhergeht.

Und schließlich – eine wissenschaftliche Führungskraft wird von Mitarbeitenden nicht nur als Expert:in gesehen, sondern de facto als Führungskraft mit Orientierungs- und Vorbildfunktion. Ausschließlich fachliche Expertise ist nicht hinreichend, um Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen zielführend und gelingend zu gestalten.

Wirksame Führung und Kollaboration werden zu Schlüsselthemen – daher wird eine substanzielle systematische Verankerung von Führung in Wissenschaftsorganisationen künftig ein wesentlicher Erfolgsfaktor für gelingende Forschungsarbeit sein.

Entsprechende Führungs- und Sozialkompetenzen entfalten gestalterische Wirkung und setzen Potenziale frei. Dabei ist wissenschaftliche Expertise als Voraussetzung für Führung immer notwendig, aber zusätzlich ist die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Mitarbeiter:innen und die Gestaltung des organisatorischen Umfeldes von entscheidender Bedeutung.

FÜHRUNG IN DER WISSENSCHAFT – WELCHE ASPEKTE GILT ES ZU BEACHTEN?

Kernaufgabe von Führung in der Wissenschaft ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, dass gute Wissenschaft stattfinden kann. Neben dem Entwickeln von Strategien und dem Begleiten von Menschen geht es um die Gestaltung von wissenschaftlichen Umgebungen und Ökosystemen, in denen die richtigen Talente miteinander in Kontakt kommen und sich entfalten können. 

Im Bereich der Wissenschaft arbeiten motivierte und sehr autonomieorientierte Menschen an Aufgaben in Forschung und Lehre, die weniger vordefiniert, stark wissensbasiert und im Ergebnis weniger vorhersehbar sind. 

Die Führung erfolgt in flachen Hierarchien, die Zusammenarbeit ist an der Sache orientiert und findet überwiegend selbstorganisiert statt. Fachliche Expertise, überzeugende Argumentation und gelingende Moderation sind die wesentlichen Elemente wirksamer Führung. Führung in der Wissenschaft ist daher sehr kommunikativ.

Auch der zeitliche Horizont unterscheidet sich von anderen Kontexten. In der Wissenschaft hat man es mit langen Prozessen zu tun. Führung in Wissenschaftssystemen vollzieht sich in langsameren Zyklen und ist mit dem Gewähren von Freiheiten verbunden. Zielvorgaben und Autonomiestreben der Forschenden sind immer sorgfältig abzuwägen.

WAS SIND DANN DIE ERFOLGSFAKTOREN WIRKSAMER FÜHRUNG IN DER WISSENSCHAFT?

  1. BEWUSSTSEIN UND WAHRNEHMUNG DER EIGENEN FÜHRUNGSROLLE

    Voraussetzung für „gute Führung“ ist zunächst einmal das Bewusstsein und die Wahrnehmung der eigenen Führungsrolle. Es geht darum, eine eigene Haltung zu entwickeln, die Bedeutung der Verantwortungsübernahme zu erkennen und zu realisieren, dass die Führungsperson einen enormen Einfluss auf die Ergebnisse der gesamten Forschungsgruppe hat.

  2. FÄHIGKEIT ZUR SELBSTFÜHRUNG UND SELBSTREFLEXION
    Wirksame Führungsarbeit beginnt mit der Fähigkeit zur Selbstführung im Sinne des sich selbst Steuerns in verschiedenen Dimensionen. Sie beinhaltet das Wissen und die Klarheit um die Ziele und Prioritäten, das Steuern und Regulieren der Motivation und der Emotionen sowie die Umsetzungskraft, die nötigen Schritte einzuleiten. Gute Selbstführung ermöglicht es vor allem, sich selbst auch in schlecht strukturierten Umgebungen gut steuern zu können. Regelmäßige Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich über das eigene Hinterfragen und das Feedback anderer stetig weiterzuentwickeln, sind wichtige Komponenten gelingender Führungsarbeit. Veränderungsbereitschaft und Flexibilität werden weiterhin durch die Tatsache benötigt, dass sich Themen und Teams sehr häufig ändern.

  3. GESTALTUNG DES FÜHRUNGSRAHMENS

    Eine wesentliche Bedeutung kommt der Gestaltung des Führungsrahmens insgesamt zu, z.B. das Fördern einer unterstützenden Kooperationskultur und das Schaffen von zielförderlichen Strukturen. Damit dies gut gelingt, ist es notwendig ein Klima des Vertrauens und der psychologischen Sicherheit zu etablieren, zum Beispiel durch eine lernende und fragende Haltung und durch eine wertschätzende und offene Fehlerkultur.
    Autoritäre oder Laisser-faire Führung verliert zunehmend an Relevanz. Insbesondere jüngere Generationen fordern Formen der Führung und Kooperation auf Augenhöhe. Dafür eignet sich ein Führungsstil, der auf gegenseitigem Respekt und der Abklärung der jeweiligen Erwartungen beruht.

  4. AKTIVE BEGLEITUNG UND ERMÄCHTIGUNG DER MITARBEITER:INNEN

    Mitarbeitende sind nicht mehr länger als Instrument für die Generierung des eigenen wissenschaftlichen Erfolges zu betrachten. Wissenschaftler:innen sind sozusagen wie eigene akademische Ich-AG’s unterwegs und benötigen individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Teil der Führungsaufgabe ist es also, Mitarbeitende aktiv zu begleiten und zu ermächtigen. 

    Hier gilt es, stets die situative Balance zwischen Steuerung und Freiheit bzw. zwischen dem Angebot verbindlicher Strukturen und der Gewährung von Freiräumen zu finden.

  5. SCHAFFEN VON SYSTEMEN FÜR ZUSAMMENARBEIT 

    Die Komplexität der Forschungsaufgaben nimmt zu und damit die Notwendigkeit, in Teams und Kooperationsprojekten zusammenzuarbeiten. Die Entwicklung ganzer Forschungsteams und -communities ist somit häufig wichtiger Bestandteil von Führungsaufgaben. Hier geht es darum, die „richtigen Leute“ in Teams und Kollaborationssystemen zusammenzubringen und ihre Stärken zu kombinieren.

    Führung zielt darauf, dass alle Mitglieder ihr Potenzial und ihre Kompetenzen bestmöglich zur gemeinschaftlichen Erarbeitung von Lösungen einsetzen können.

  6. NEUE ANSÄTZE AGILER ARBEITSWEISEN
    Neue Ansätze von agilen und kollaborativen Arbeitsweisen halten im Zuge der digitalen Transformation auch Einzug in Wissenschaftsorganisationen. Dies bedeutet eine Weiterentwicklung von Führung und Zusammenarbeit – verstärkte Sinnorientierung, mehr Eigenverantwortung und Kollaboration, Zunahme von Orts- und Zeitflexibilität, rollenbasiertes Führen, hybrides Arbeiten, offene Kommunikation uvm. Vieles davon wird im Wissenschaftsbetrieb schon angewendet, jedoch fehlt es vielfach an Systematik, Methoden und Kompetenzen bei den Beteiligten.

  7. MANAGEMENTKOMPETENZEN

    Die für die Führung in der Wissenschaft benötigten Fähigkeiten sind stark von der Karrierestufe abhängig. Im fortgeschrittenen Stadium wissenschaftlicher Führungsarbeit werden neben der Mitarbeiter:innen- und Teamführung verstärkt Strategie-, Organisations- und Managementthemen zunehmend relevant. Hier sind ganzheitliche Managementkompetenzen gefragt

FAZIT: 

Das Thema Führung in der Wissenschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung. Einerseits, um eine bessere wissenschaftliche Arbeit zu leisten, andererseits, um im Wettbewerb um Nachwuchswissenschaftler:innen attraktiver zu sein und institutionellen Anforderungen gerecht zu werden. Gleichzeitig ist das Bewusstsein für die Bedeutung wirksamer Führung und dem Wert einer systematischen Verankerung auf breiter Front noch nicht gegeben. 

Es wäre wünschenswert, wenn es zunehmend zu einer Öffnung und einem Umdenken zugunsten einer durchgehenden Professionalisierung von Wissenschaftler:innen in Sachen Führung käme. Förderlich wäre es, wenn „Führung“ im Wissenschaftssystem in diesem Sinn als ein Teil des Reputationssystems anerkannt und explizit Teil des eigenen Rollenbewusstseins würde.

Ausgangspunkt für diesen Artikel war die im März 2023 erschienene osb-i-Studie “Leadership in Science”, deren Ergebnisse sich stark mit unseren Erfahrungen aus der täglichen Beratungspraxis decken.


WAS DIE NÄCHSTEN SCHRITTE SEIN KÖNNEN

Denken Sie bereits darüber nach, wie Führung im Wissenschaftsbereich bewusster und gezielter erfolgen kann? Setzen Sie sich mit Qualifizierung und Professionalisierung von Führung in der Wissenschaft auseinander? 

Die Ansätze, um wirksame Führung in der Wissenschaft stärker zu verankern, sind vielfältig und gehen von der gezielten Behandlung einzelner Führungsaspekte über den nachhaltigen Aufbau von Nachwuchsführungskräften in speziellen Leadership-Programmen bis zum Sparring/ Coaching von Peergroups. 

Für einen unverbindlichen Austausch bzw. Fragen stehe ich sehr gern zur Verfügung - in einem telefonischen oder Online-Termin können wir gemeinsam überlegen, welche Ansätze für Ihren spezifischen Bedarf geeignet sind.

ÜBER GABRIELE HOLZNER

Gabriele Holzner ist Senior Partnerin der Lukas Bischof Hochschulberatung. Nach mehrjähriger Führungserfahrung in den Bereichen Kommunikation und Strategie ist sie seit mehr als 15 Jahren als Prozessbegleiterin, Trainerin und Coach tätig.
Die Themen Führung und Kommunikation, neue Arbeitsformen sowie Strategie- und Teamentwicklung sind thematische Schwerpunkte in ihren Prozessbegleitungen und Workshops. Zum Thema Führung verantwortet Gabriele Holzner Workshops, die Entwicklung von Programmen und Beratungskonzepte.
Sie haben Fragen oder Anmerkungen oder Sie interessieren sich für eine Begleitung durch Gabriele Holzner? Nehmen Sie gerne Kontakt per Mail mit mir auf.